Die Zukunftsmacher


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Titel Die Zukunftsmacher
Autor Ibrahim Naber
Datum 6.3.2015
Herausgeber Schwäbisches Tagblatt
Thema Technologie
Website Schwäbisches Tagblatt

Die Zukunftsmacher

VISIONÄR FLORIAN WIEST prognostizierte bereits 2008, dass der 3D-Druck (Additive Fertigung) die industrielle Produktion radikal verändern wird. Damals belächelten ihn Politik und Wirtschaft. Heute bildet der 34-Jährige mit seiner Firma Create 3D die digitalen Ingenieure von morgen aus - auch an einigen Schulen in Reutlingen und Tübingen. Firmen können durch ein Engagement Talente früh fördern und an sich binden.

Um ein Haus zu bauen, braucht man auf der Baustelle der Zukunft keine menschlichen Arbeiter mehr. Dr. Behrokh Khoshnevis, ein Forscher der University of Southern California (USA), hat vor wenigen Jahren einen 3D-Druckroboter entwickelt, der den Hausbau nahezu alleine bewältigt. "Contour Crafting“ nennt sich das System, bei dem ein 3D-Drucker wie eine Laufkatze über ein aufgestelltes Gerüst fährt und Schicht für Schicht eines Gebäudes hochzieht. Videos im Internet zeigen, wie so innerhalb von 24 Stunden ein komplettes Haus aus Beton entsteht. „Man könnte heute mit 3D-Druckern eine ganze Stadt im All errichten. Vor ein paar Jahren hätten wir noch gedacht, dass wir dafür hunderte Menschen und Kräne hoch schleppen müssen“, erklärt Florian Wiest.
Auch wenn der Roboter-Hausbau vorerst ein Zukunftsmodell bleibt, dient er als Beispiel dafür, was heute bereits möglich ist und wie stark der 3D-Druck die industrielle Produktion revolutionieren kann. Wiest ist davon überzeugt, dass die Technologie die Produkte und das Denken verändern wird. Und: „Länder wie England oder die USA, die früh den digitalen Weg eingeschlagen haben, werden den Rest der Welt abhängen.“ Diese Aussage ist durchaus auch als Warnung an die Industrieregion Baden-Württemberg zu verstehen. Wiest sagt, dass noch immer viele deutsche Firmen die Gefahr unterschätzen würden. „Wir, das Land der Dichter, Denker und Erfinder, haben den Maschinenbau kultiviert, verpassen nun aber den digitalen Anschluss, wenn wir nicht bundesweit entgegensteuern. Ich sehe das als große Herausforderung.“

Praxisorientierte Förderung: 3D-Seminare für Schüler

Wiest hält eine frühzeitige Förderung digitaler Kompetenzen für elementar. Der Diplom-Ingenieur hat seit Jahren die Vision, die Additive Fertigung - weitläufig als „3D- Druck“ bekannt - fest im Bildungsprogramm von allgemeinbildenden Schulen zu etablieren. Wiest: „Wir verwandeln den Computer vom Spielzeug zum Werkzeug. Additive Fertigung ist viel mehr als das, was sich viele unter 3D-Druck vorstellen. Es geht am Ende darum, funktionsfähige Produkte für die Wirtschaft zu schaffen.“ Bereits 2008 hatte er dem Kultusministerium in einem persönlichen Gespräch ein vorgefertigtes Bildungskonzept präsentiert. Es prallten Welten aufeinander. Der Begriff „3D-Druck“ existierte damals noch nicht einmal, die Politik konnte mit der Idee noch nichts anfangen.
Also nahm Wiest die Sache komplett selbst in die Hand. Seit 2009 führt er nun mit seiner Firma Create 3D-CAD-Seminare an Schulen in Baden-Württemberg durch. Das erklärte Ziel ist es, Kinder und Jugendliche über praxisorientierte Projekte frühzeitig an das Ingenieurwesen heranzuführen. Je nach Altersstufe konstruieren die Schülerinnen und Schüler ab Klasse sieben ganze Städte am PC nach oder entwickeln ihren ganz persönlichen USB-Stick.

Schlüsselkompetenzen und Zukunftstechnologien werden auf diesem Wege spielerisch vermittelt. „Das Machen steckt in Jedem von uns drin. Das ist wie im Sandkasten. Doch das herkömmliche Bildungssystem nimmt uns das oftmals weg“, kritisiert Wiest, dessen 3D-Kurse bereits mehr als 1500 Schüler in sechs verschiedenen Städten im Land besucht haben. 15 Unterrichtseinheiten à 90 Minuten umfasst ein Kurs. Einige Schüler sind so begeistert, dass sie daraufhin an privaten Ferienkursen teilnehmen. In Reutlingen betreut Create mittlerweile alle Gymnasien und Realschulen. In Tübingen lehren die insgesamt 15 Mitarbeiter am Carlo-Schmid Gymnasium und der Geschwister-Scholl-Schule. Nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer werden geschult, damit sie auf ein Niveau kommen, um die Klasse als Supervisor nach einigen Monaten selbstständig anleiten zu können. Kein Lehrer sei heute mehr in der Lage, das ganze Internetwissen zu erlernen, sagt Wiest: „Die Gefahr, dass der Schüler mehr weiß als der Lehrer, ist heute gröBer denn je. Aber genau das muss die Lernkultur werden. Weg vom Wissensabfragen, hin zum selbstständigen Denken und Machen!“

Chance für Firmen: Engagieren, fördern, rekrutieren

Für die Schulen verursachen die Seminare keinerlei Extrakosten. Jeweils fünf Sponsoren, Firmen aus der Umgebung, sponsern die Kurse einer Schule. Unternehmen haben dadurch die Chance, selbst von der Ausbildung zu profitieren: „Wir bringen die Talente in Kontakt mit den Firmen, die unsere Projekte unterstützen“, erklärt Wiest das Konzept. Konkret heißt das: Die Schüler werden über Schwerpunkte und Ausrichtung der Unternehmen informiert, es werden Praktikums- und Ausbildungsplätze an Talente vermittelt. Zwei Schüler aus Metzingen wurden bereits bei einem großen Unternehmen fest übernommen.
Wiest ist davon überzeugt, dass Unternehmen ihren digitalen Rückstand nur durch junge Talente kompensieren können, die von der ersten Sekunde an die additive Fertigung bedienen. Denn die Unterschiede zwischen der konventionellen und additiven Fertigung seien so gravierend, dass die Umschulung älteren Mitarbeitern Probleme bereitet: „Wir sehen ganz klar: Je jünger und unvoreingenommener ein Teilnehmer an die Sache herangeht, desto leichter tut er sich. Wenn Jemand 30 Jahre in einem Betrieb Teil der konventionellen Fertigung war, wird das Umdenken auf additive Fertigung extrem schwer.“ Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass der Altersdurchschnitt der Create-Mitarbeiter bei rund 23 Jahren liegt. Wiest setzt in seiner Firma auf Autodidaktik und gegenseitiges Schulen.

Demokratisierung der Fertigung

Dass sich die konventionelle Fertigung verändert, ist bereits heute erkennbar. Über Jahrhunderte konnte nur derjenige Produkte in Serie entwickeln lassen, der sich eine riesige Halle samt Maschinen leisten konnte. Heute kann das jeder, weil Produktionshallen mit den notwendigen 3D-Druckern allen zur Verfügung stehen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der „Demokraisierung der Fertigung“. Auf bekannten 3D-Druckportalen wie Shapeways oder i.materialise werden täglich tausende neuer 3D-Modellierungen (Schmuck, Kerzenständer, Miniaturen o.ä.) von Erfindern rund um den Globus hochgeladen, die dann zum Verkauf stehen. Bestellt man ein Produkt, wird dieses in Hallen in England, Holland oder Belgien produziert. Wiest prognostiziert: „Die nächsten großen Erfinder der Geschichte werden über diese Portale bekannt.“
Wiest hat selbst etliche Ideen für neue Produkte. Doch die müssen warten. Neben den Schulprojekten betreut er einige Unternehmen, immer mehr Firmenbosse nehmen Kontakt mit ihm auf. Das letzte halbe Jahr sei turbulent gewesen, sagt Wiest und muss grinsen. „Ich habe nicht viel geschlafen. Ich glaube, das war eigentlich schon bekloppt von mir, das Ganze zu Beginn alleine anzugehen.“ Dann muss er schon wieder los. Die Zukunft wartet nicht.